Westliche Publikationen 1979 bis heute
Schon die gesamten 50er und 60er Jahre hindurch haben die politischen Ereignisse in China die übrige Welt fasziniert: Das Entstehen einer kommunistischen Gesellschaft die anders war als die Sowjetunion trug dazu genauso bei wie die Kunde von Maos Massenkampagnen, vor allem der "Kulturrevolution". Für viele im Westen galt China als "geheimnisvoll", "mystisch" und "undurchschaubar", in der Tat hatten nur wenige westliche Reisende damals Gelegenheit, das "Reich der Mitte" aus eigener Anschauung zu erleben. Erst zu Beginn der 1970er-Jahre hat sich China vorsichtig geöffnet, westliche Studenten, Wissenschaftler und Journalisten durften erstmals in nennenswerter Zahl nach China, und die chinesischen Richtungskämpfe unmittelbar vor und nach Maos Tod im September 1976 heizten das Interesse an China zusätzlich an. Wenig später wurde im Ausland klar, dass sich China nicht nur noch stärker öffnen, sondern auch radikal verändern würde.
So gesehen wurde auch den Ereignissen des "Pekinger Frühling" eine besondere Beachtung zuteil, und die Aufmerksamkeit war vor allem in jenen Ländern besonders groß, die entweder ein aktuelles politisches Interesse an China hatten (z. B. die USA, die gerade diplomatische Beziehungen zu Peking aufnahmen) oder wo die China-Wissenschaft verstärkt auf das moderne China bzw. die politischen Aspekte der Entwicklungen fokussiert war war (v.a. Frankreich, z.T. auch Deutschland, Großbritannien). Internationale Medien berichteten faktisch täglich über die neuesten Ereignisse in China, aber auch China-Wissenschaftler und politische Autoren versuchten sehr rasch, die chinesische Demokratiebewegung in Büchern und Fachzeitschriften im Detail zu analysieren und einzuordnen, bzw. auch die Texte der Demokratiebewegung (Wandzeitungen bzw. Beiträge aus den unabhängigen Zeitschriften) einer internationalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Schon 1980 erschienen mehrere Bücher und längere Artikel, die eine zusammenfassende Analyse der Demokratiebewegung versuchten. In Frankreich beeindruckten die hinter Pseudonymen wie Victor Sidane (Xidan 西单, Ort der Pekinger Demokratiemauer), Wojtek Zafanolli (zaofan you li 造反有理, "Rebellion ist gerechtfertigt) oder Claude Widor versteckten Autoren (v.a. Alain Peyraube, Emmanuel Bellefroid und Michel Bonnin) schon frühzeitig mit exzellenten Analysen (s.u.a. Huang San: Un bol de nids d’hirondelles ne fait pas le printemps de Pékin, Paris 1980; Sidane, Victor: Le printemps de Pékin, /The Beijing Spring, Paris 1980; Sidane, Victor / Zafanolli, Wojtek: Procès politiques à Pékin / Political processes in Beijing, Paris 1981).
In Dänemark erschien schon 1980 eine im Jahr darauf auch ins Deutsche übersetzte Monografie von Flemming Christiansen (u.a.) mit dem Titel "Den demokratiske bevægelse i Kina" (Kopenhagen; auf deutsch 1981 in München: "Die demokratische Bewegung in China, Revolution im Sozialismus?"). In der Zeitschrift "Asian Survey" (University of California Press), Nr. 7, Juli 1981, folgte ein längerer wissenschaftlicher Artikel von Kjeld Erik Brodsgaard: "The Democracy Movement in China, 1978-1979: Opposition Movements, Wall Poster Campaigns, and Underground Journals".
Auf Englisch erschienen auch umfassende Darstellungen von James D. Seymour ("The fifth modernization: China's human rights movement, 1978-1979", Stanfordville, NY 1980) und David Goodman ("Beijing Street Voices. The Poetry and Politics of China's democracy Movement", London/Boston 1981). 1982 folgten zwei überwiegend journalistische (dennoch sorgfältig recherchierte und mit Dokumentarmaterial unterlegte) Bestseller: "China. Alive in the Bitter Sea" des NYT-Korrespondenten Fox Butterfield und "Coming Alive. China after Mao" von Roger Garside.
Die wichtigste Materialsammlung (chinesisch, englisch, französisch) erschien zwischen 1981 und 1984 in zwei Bänden in Hongkong unter dem Pseudonym "Claude Widor" (hinter dem sich der französische Sinologe Emmanuel Bellefroid verbirgt, der durch seine Beziehung und spätere Heirat mit der "Sterne"-Künstlerin Li Shuang Bekanntheit erlangte): "Documents sur le mouvement démocratique chinois 1978-1980. Révues parallèles et journaux muraux" (Documents on the Chinese democracy movement 1987-1980. Unofficial journals and wall posters).
In Taiwan erschienen zwischen 1980 und 1982 zwei umfassende Textsammlungen auf Chinesisch: "Catalog of Chinese Underground Literatures" (Vol. 1/2) von T.C. Chang u.a., sowie der Nachdruck der wichtigsten Zeitschriften der Demokratiebewegung in 21 Bänden ("Dalu dixia kanwu huibian / Collected underground journals from the Mainland" aus dem Verlag der Zeitschrift "Studies on Chinese Communism", Taipeh 1981).
Der finnische Sinologe und Politikwissenschafter Lauri Paltimaa ("In the vanguard of history: The Beijing Democracy Wall Movement 1978-1981 and Social Mobilisation of Former Red Guard Dissent". Turun Yliopisto, Turku 2005) machte sich die Mühe, hunderte Texte aus den unabhängigen Zeitschriften (nachgedruckt in Taiwan in einer 21-bändigen Zusammenstellung) systematisch durchzusehen und und inhaltlich zu analysieren.
Erst mit dem Abstand mehrerer Jahre oder Jahrzehnte unternahmen führende US-amerikanische Sinologen den Versuch, den "Pekinger Frühling" in Zusammenhang mit größeren politischen Entwicklungen zu setzen: Den Anfang machte Andrew James Nathan (Columbia University, NY) mit "Chinese Democracy", New York 1985. Merle Goldman (Harvard) publizierte 1994 "Sowing the Seeds of Democracy in China. Political Reform in the Deng Xiaoping Era" bzw. "From Comrade to Citizen. The Struggle for Political Rights in China" (Cambridge, MA, und London 2007). George Black und Robin Munro ("Black Hands of Beijing. Lives of Defiance in China’s Democracy Movement", New York 1993) legten das Augenmerk vor allem auf die Rolle führender Persönlichkeiten der Demokratiebewegung. Sie alle konnten sich schon auf persönliche Erinnerungen und Einschätzung von inzwischen freigelassenen (und oft ins Exil ausgereisten) Akteuren der Demokratiebewegung stützen, während die ersten Publikationen in den frühen 1980er-Jahren noch überwiegend mit den schriftlichen Hinterlassenschaften auskommen mussten, da die Akteure selbst oft im Gefängnis waren.
In westlichen Sprachen erschienen auch noch etliche Biografien der Hauptakteure (v.a. über Wei Jingsheng, von Marie Holzman auf Französisch, von Wei's Schwester Shan Shan auf Deutsch) und Übersetzungen einzelner Texte, weiters Beiträge über die Rolle des westlichen Medien in der chinesischen Demokratiebewegung (vom australischen Sinologen Andrew Chubb: "Foreign Correspondents & Democracy Wall. The impact of the Western media in China, 1978-1979", University of Western Australia, 2010) oder 2013 der Versuch einer Neuinterpretation der Wandzeitungsbewegung durch Jill Levine: "Deng Xiaoping, Dazibao and Dissent: A Critical Analysis of the Xidan Democracy Wall Movement" (Senior Capstone Projects 163). Zu erwähnen ist auch der taiwanesische Medien- und Politikwissenschafter Liu Shengji (刘胜骥), der zwischen 1984 und 1985 in Taipei mehrere Analysen und Textsammlungen (auf Chinesisch) herausbrachte.
(Vollständige bibliografische Angaben zu allen genannten Werken finden sich in der Rubrik "Literatur zum Thema".)